Ein Organist spielt in der Kirche Choräle und Fugen, und er begleitet die Gemeindelieder. Das ist doch
das, was man von einem Organisten erwartet, oder?
Ja, das entspricht dem traditionellen Bild, das man von Musik in der Kirche hat. Dies wurde mir im Lehrerseminar in Kreuzlingen so
vermittelt. Dort habe ich Bach, Pachelbel und Mendelssohn spielen und lieben gelernt. Dabei ist es jedoch nicht geblieben.
Das heisst...
Ich begann schon früh – mit 18 Jahren –, an Hochzeiten zu spielen. Hochzeitspaare wünschten sich oft bekannte Melodien, die eigentlich
nicht ins Repertoire eines Organisten gehören. So begann ich, Songs wie z.B. «My way» auf der Orgel zu spielen.
Du hast also Noten gekauft und diese geübt.
So einfach war es leider nicht. Es gab und gibt heute noch wenige Noten dieser Art für Kirchenorgel. So nahm ich Klaviernoten und
probierte so lange, bis das Stück auch auf der Orgel vernünftig tönte.
Wie muss man sich das vorstellen?
Das bedeutet konkret, dass die verschiedenen Elemente eines Klaviersatzes – Melodie, rhythmische Begleitung und Bass – auf der Orgel
neu verteilt werden. Melodie und die rhythmische Begleitung werden auch auf der Kirchenorgel mit den Händen gespielt, der Bass wird
hingegen ins Pedal verlegt und mit den Füssen gespielt.
Tönt so weit einfach.
War es zu Beginn eher nicht, da ich die Songs, die ich ja auf dem Klavier spielte, durch die Neuverteilung der Stimmen komplett anders
angehen musste. Da hat sich in mir zuerst einmal alles gewehrt, Jahre alte Automatismen mussten durchbrochen werden. Erst mit der
Zeit ging dies etwas einfacher.
Kann man alle Lieder auf der Orgel umsetzen?
Nur bedingt, denn die Orgel reagiert ganz anders als ein Klavier. Beim Klavier ist nach dem Anschlagen der Taste der Ton sofort da und
hörbar. Die Bauweise und Grösse einer Kirchenorgel bewirkt, dass einzelne Orgelpfeifen – im Besonderen die tiefen und weit entfernten –
erst spät ansprechen und später erklingen. Dies führt zu einer gewissen Trägheit und Verzögerung. Daher sind zu schnelle Stück eher
unbefriedigend im Klangresultat.
Also musst du Wünsche von Braut und Bräutigam ablehnen.
Ganz selten. Es findet sich meistens ein Weg, die Lieblingssongs der Brautleute zu spielen. Fast immer kombiniere ich an Trauungen die
Orgel mit Klavier, das ergibt musikalisch eine schöne Abwechslung. So kann ich «nicht-Orgel-kompatible» Lieder auf dem D-Piano
umsetzen.
Wenn jemand etwas mehr möchte, gestalte ich Hochzeiten mit Saxophon und Sängerin. Das Saxofon bringt einen eher weltlichen Touch
hinein und das Timbre der Sängerin ergibt eine ganz besonders warme Stimmung.
Was würdest du als deinen «unique selling proposition» bezeichnen? Weshalb soll ein Hochzeitspaar
ausgerechnet dich buchen?
Es ist die Kombination von Repertoire und Erfahrung. Unser heutiges Repertoire ist das Resultat von unzähligen Wünschen von Paaren,
es ist aus vielen Hochzeiten hervorgegangen. Nach vielen Jahren an der Orgel kann ich auch unkonventionelle Wünsche innerhalb kurzer
Zeit erfüllen. So haben Hochzeitspaare die Chance, ihnen lieb gewordene Lieder in einem ihrer emotionalsten Momente bei sich zu haben
und zu hören. Und wir als Musiker haben die Möglichkeit, mit unserer Musik einen Teil zum schönsten Tag des Lebens beizutragen.
Häufig fliessen in der Hochzeitsgesellschaft Tränen der Rührung, während wir einfach Gänsehaut haben.
Nun kann ich mir vorstellen, dass nicht alle Gäste glücklich sind, wenn der Organist weltliche Literatur in
der Kirche spielt.
Diese Bedenken hatte ich zu Beginn auch. Insbesondere von Kirchenvertretern erwartete ich eine gewisse Zurückhaltung. Das Gegenteil
war der Fall: Die Menschen sind sehr offen für neue Ideen, ganz selten wurden kritische Stimmen laut. Auch ist zu bedenken, dass
Hannes Meyer seit vielen Jahren Unkonventionelles auf der Kirchenorgel umsetzte, und dies mit grossem Erfolg.
Gibt es viele Organisten, die sich dieser Art Repertoire widmen?
Aus meiner Erfahrung heraus gibt es schon Einiges vor allem im volkstümlichen Bereich. Diese eher lüpfigen Stücke sind häufig im
Zusammenhang mit Jodlermessen zu hören. Das sind Hörerlebnisse der ganz besonderen Art, urchig und volksnah. Ich bin der Meinung,
dass man mit nicht-kirchlicher Literatur aus Pop, Musicals, Volksmusik und Jazz viele Menschen erreichen kann, die sonst nie eine Kirche
betreten würden. In diesem Sinn ermuntere ich Organisten, sich in diesen Stilrichtungen zu versuchen.
Wo kann man dich denn hören?
Seit Jahren übernehme ich sehr gerne die musikalische Gestaltung von Hochzeiten, Taufen und Abdankungen, und ab und zu bin ich in
einem Gottesdienst in Russikon und Volketswil zu hören.
Kann man dort auch Bach hören?
Im Moment nicht, jedoch ist Beethovens «die Himmel rühmen» Teil dieses Programms. Sonst sind Lieder von Whithney Houston, Henry
Mancini, Queen und Frank Sinatra Teil dieses Programms. Dies ist «mein Weg», meinen Zuhörern Musik in der Kirche anzubieten.
«My way» auf der Kirchenorgel? Interview mit Michael Thoma
Kontakt
Michael Thoma
Schriberweidstrasse 20
8330 Pfäffikon ZH
079 430 57 27
michael.thoma(at)organist.ch
www.organist.ch